News Regio-Interview

15.09.2020

Regio-Interview - Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik im Gespräch

Zehn Fragen an Prof. Dr. Daniela Thurnherr Keller, Vorsitzende der Regenz der Universität Basel

Sie wurden im Oktober 2019 zur Vorsitzenden der Regenz der Universität Basel gewählt. Die Regenz nimmt unter anderem als einflussreiches Konsultationsgremium zu gesamtuniversitären Fragen Stellung. Wo liegen Ihre Schwerpunkte?

Die Aufgaben und Zuständigkeiten der Regenz, die sich aus 77 Mitgliedern (Rektorat, Dekaninnen und Dekane sowie Vertreterinnen und Vertreter der Professorenschaft, der Lehrbeauftragten, der Assistierenden und Studierenden sowie der wissenschaftlichen, technischen und administrativen Mitarbeitenden) zusammensetzt, sind vielfältig. Zu den von Ihnen angesprochenen gesamtuniversitären Fragen gehören etwa Änderungen der Studierenden-Ordnung und der Ordnung für das wissenschaftliche Personal, die Durchführung des Numerus Clausus für bestimmte Fächer sowie das Leitbild und die Strategie der Universität. Bei gewissen dieser Geschäfte wird die Regenz konsultiert, teilweise kommt ihr Entscheidungsbefugnis zu. An ihrer letzten Sitzung im Mai 2020 hat sich die Regenz übrigens mit den universitären Massnahmen im Kontext von Covid-19 sowie den mittelfristigen Perspektiven, insbesondere für den Unterricht im kommenden Herbstsemester, auseinandergesetzt. Weitere Themenschwerpunkte werden von ständigen Regenzkommissionen behandelt, deren Tätigkeiten in der Regenz präsentiert und diskutiert werden. Dazu gehören unter anderem die Forschung, die Lehre, die Nachwuchsförderung sowie die Diversity. Schliesslich wählt die Regenz unter Vorbehalt der Genehmigung durch den Universitätsrat die Rektorin bzw. den Rektor sowie die Vizerektorinnen und Vizerektoren. 

Welche Ziele verfolgt die Universität Basel in der internationalen Zusammenarbeit, vor allem auch am Oberrhein? 

Internationale Kooperationen sind für die Universität Basel unerlässlich, um auch künftig zu den führenden Hochschulen zu gehören und ein breites sowie attraktives Fächerangebot anbieten zu können. Daher ist in der Strategie 2022–2030 der Universität auch vorgesehen, dass die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen weitergeführt und ausgebaut werden soll. Kooperationen am Oberrhein kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, wie verschiedene aktuelle Beispiele zeigen: Hinzuweisen ist insbesondere auf die Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg im Breisgau im Bereich Quantenphysik und jene mit der Universität Freiburg im Breisgau und der Universität Strasbourg im Bereich Neurowissenschaften. Diese tragen wesentlich zur Weiterentwicklung und Profilierung der betreffenden Forschungsgebiete bei. 

Welche Rolle spielen hier Horizon Europe und die Bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU? 

Die Teilnahme der Schweiz an den europäischen Forschungsprogrammen ermöglicht es den hiesigen Forschenden, an den europäischen Programmen zu partizipieren und sich in Konkurrenz mit Spitzenforschenden aus anderen Staaten um kompetitive Drittmittel zu bewerben. Im Erfolgsfall winkt nicht nur finanzielle Förderung, sondern auch ein Reputationsgewinn. Horizon Europe ist aus hiesiger Sicht besonders interessant, da es dem Bereich Innovation sowie der Zusammenarbeit von Industrie und Akademie je einen eigenen Schwerpunkt widmet. Weil der Transfer von Wissen aus der Forschung in die Anwendung für die Schweiz von grossem volkswirtschaftlichem Interesse ist, können auch die hiesigen Unternehmen von diesem Ansatz profitieren. Die in den Bilateralen Verträgen enthaltene Personenfreizügigkeit erleichtert aufgrund des Abbaus der migrationsrechtlichen Hürden die Gewinnung von Talenten. Zudem ermöglicht sie es auch unseren Nachwuchsforschenden, an Spitzenuniversitäten im europäischen Ausland zu wechseln und dort wichtige Schritte ihrer beruflichen Karriere zu absolvieren.

Die Universität Basel pflegt enge Beziehungen zu weiteren oberrheinischen Universitäten, vor allem im Rahmen von «Eucor – The European Campus». Eucor ermöglicht den Lehrkräften sowie Studentinnen und Studenten eine einzigartige Mobilitätsmöglichkeit zwischen den Universitäten am Oberrhein. Wie wichtig ist Ihnen dieses Netzwerk und wo sehen Sie Chancen und Potenziale? Was muss verbessert werden? 

Der grenzüberschreitende Hochschulverbund «Eucor – The European Campus» zwischen den Universitäten Basel, Strasbourg, Mulhouse, Colmar, Karlsruhe und Freiburg im Breisgau existiert seit mittlerweile über 30 Jahren. Ich erachte es als ausserordentlich wichtig, dass durch dieses Netzwerk das grosse wissenschaftliche und wirtschaftliche Potenzial des Oberrheins ausgeschöpft wird. Die bereits erwähnten Beispiele für Kooperationen mit anderen oberrheinischen Universitäten zeigen, dass gerade in zukunftsweisenden und innovativen Bereichen eine Zusammenarbeit stattfindet. Für die Studierenden ist dieses Netzwerk insofern interessant, als dass es ihnen ermöglicht, in anderen Ländern und teilweise auch in einer anderen Sprache von einem Vorlesungsangebot zu profitieren, welches das hiesige ergänzt. Aufgrund der geographischen Nähe der Partneruniversitäten haben sie die Möglichkeit, in einem internationalen Kontext zu studieren, ohne dass sie dafür umziehen und einen grossen logistischen Aufwand auf sich nehmen müssen. Verbesserungspotenzial sehe ich nicht in der Zusammenarbeit als solche. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Studierenden teilweise nicht genügend im Bilde sind, welche Chancen Eucor für das Studium und die eigene Qualifikation bietet. Diesbezüglich wäre wohl eine bessere Information anzustreben. 

Sehen Sie in der kommenden Abstimmung am 27. September 2020 zur Begrenzungsinitiative eine Gefahr für die Universität Basel und den Forschungsstandort Schweiz? 

Eine Annahme der Begrenzungsinitiative hätte aufgrund der damit verbundenen Beendigung der Personenfreizügigkeit zur Folge, dass es für die Universität Basel schwieriger würde, Spitzenforschende und Talente zu gewinnen. Selbst wenn Kontingentssysteme nach wie vor eine gewisse Zuwanderung von Fachkräften erlauben würden, wäre damit ein bürokratischer Aufwand verbunden, der Ressourcen bindet, die besser in Forschung und Lehre eingesetzt würden. Zudem sind negative Konsequenzen für unsere Nachwuchsforschenden, die im Laufe ihrer Karriere wichtige Erfahrungen an europäischen Universitäten sammeln möchten, absehbar. Da die Personenfreizügigkeit durch die so genannte «Guillotine-Klausel» mit sechs weiteren Abkommen der Bilateralen I verknüpft ist, würde durch die Kündigung der Personenfreizügigkeit das gesamte Vertragspaket ausser Kraft gesetzt. Auch das Forschungsabkommen mit der EU wäre im Fall der Annahme der Initiative gefährdet. Wie erwähnt ist die Teilnahme an den hochkompetitiven europäischen Forschungsprogrammen für die Reputation unserer Forschenden von grosser Bedeutung. Ein Ausschluss unserer Forschenden von diesen Programmen hätte daher gravierende Konsequenzen und könnte sich wiederum negativ auf die Gewinnbarkeit von Talenten auswirken. Vor dem Hintergrund, dass universitäre Forschung per se international ausgerichtet ist, wären bei einer Annahme der Begrenzungsinitiative massive Kollateralschäden für Wissenschaft und Bildung absehbar.

Die Universität Basel beteiligt sich rege an dem EU-Förderprogramm Interreg Oberrhein. Wo sehen Sie den Mehrwert eines solchen grenzüberschreitenden Förderprogrammes?

Interreg, eine Gemeinschaftsinitiative des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, unterstützt die wissenschaftliche Vernetzung am Oberrhein. Dies ermöglicht es, diese Vernetzung durch die gemeinsame grenzüberschreitende Nutzung bestehender Infrastrukturen weiter voranzutreiben und attraktive sowie konkurrenzfähige Forschungsbedingungen zu schaffen. Für die Universität Basel ist die Teilnahme deshalb wichtig, weil die dabei entwickelte Forschungsinfrastruktur den Boden für Innovationen und einen Wissenstransfer am Oberrhein bildet. Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel verschiedener Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die in der Vergangenheit vom Programm Interreg Oberrhein genehmigt worden sind: Exemplarisch hinzuweisen ist auf das Projekt «Clim’Ability Design», das die Anfälligkeit von KMUs und KMIs in der Oberrheinregion für den Klimawandel abmildern will (Schweizer Projektverantwortung: Soziologisches Institut der Universität Basel) und das Projekt «Interneuron» zum Wissens- und Technologietransfer im Bereich der Neurowissenschaften (Schweizer Projektverantwortung: Departement Biomedizin der Universität Basel).

In welchen Bereichen kann die Universität Basel ihre Stärken in grenzüberschreitenden Projekten ausspielen?

Die Universität Basel ist in allen ihren Schwerpunkten ein starker und verlässlicher Projektpartner. Besonders hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf den so genannten «Bio-Campus Oberrhein», der in der universitären Strategie 2022–2030 näher ausgeführt wird. Bezweckt wird damit ein grenzüberschreitender Cluster im trinationalen Oberrheinraum zur Förderung des Wissens- und Technologietransfers im Bereich Life Sciences. Der Cluster wird im Rahmen des Eucor-Verbundes entstehen und soll mittelfristig eine führende Rolle in Europa als Life Science-Hub einnehmen. 

Müsste die Universität Basel mit ihrer Grenzlage das Thema Corona-Krise aufnehmen und hier auf wissenschaftlicher Ebene die politische und gesellschaftliche Diskussion zu den Grenzschliessungen und der Kooperation über Ländergrenzen begleiten?

Diese Forschung findet bereits statt. Sie stellt eine wichtige Ergänzung zur einschlägigen Spitzenforschung im medizinischen Bereich dar, die nicht zuletzt aufgrund der Partizipation hiesiger Forschenden in der Covid-19 Science Task Force des Bundes eine hohe Sichtbarkeit erlangt hat. Verschiedene Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Universität Basel setzen sich in ihrer Forschung intensiv mit den politischen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Krise auseinander. Ich verweise in diesem Zusammenhang exemplarisch auf die unter dem Titel #iuscoronae veröffentlichten Beiträge der Juristischen Fakultät. Dazu gehören auch staatsrechtliche Fragen wie die Grenzschliessungen und völkerrechtliche Themen wie die globale Gesundheitsförderung. 

Welches sind aus Ihrer Sicht die drei Worte, welche am geeignetsten das Potenzial der grenzüberschreitenden Kooperation für die Universität Basel zusammenfassen? 

Innovation, Offenheit, Dynamik

Nun stehen zum ersten Mal ausschliesslich Frauen an der Spitze der ältesten Universität der Schweiz. Wie sehen Sie die Geschlechterdiskussion in der heutigen Gesellschaft? 

Dass gegenwärtig zwei Frauen an der Spitze des Rektorats und der Regenz stehen, zeigt, dass die Universität bezüglich Geschlechtergleichheit auf dem richtigen Weg ist. Ich nehme die Universität als Ort war, an dem die Geschlechter gleichberechtigt sind und über identische Chancen verfügen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass dies hier wie überall in der Vergangenheit anders war. Ich bin den früheren Generationen von Wissenschafterinnen, die gegen Widerstände kämpfen und Frustrationen in Kauf nehmen mussten, daher ausserordentlich dankbar für ihr couragiertes Einstehen für die Anliegen der Frauen. Ohne ihr Engagement wären wir heute nicht da, wo wir sind.

Dank verschiedener Massnahmen in Berufungsverfahren, beispielsweise der Berücksichtigung der Qualität des Forschungsoutputs vor der Quantität im Falle familiärer Pflichten oder der Entwicklung von Mechanismen, die einem unbewussten Gender-Bias entgegenwirken, konnte der Frauenanteil auch auf den höheren Qualifikationsstufen bereits merklich gesteigert werden. In Fakultäten mit einem höheren Frauenanteil bei den Studierenden, wie beispielsweise der Juristischen Fakultät, verläuft diese Entwicklung natürlich schneller. Positiv zur Kenntnis nehme ich auch die Bestrebungen, die die Universität zwecks Verbesserung der Familienfreundlichkeit unternimmt, was natürlich nicht nur den Frauen alleine zu Gute kommt. Die hierfür notwendigen Massnahmen sind oft nicht übermässig komplex, aber wirkungsvoll. Als Mutter zweier schulpflichtiger Kinder schätze ich es beispielsweise sehr, dass Sitzungen nach Möglichkeit zwischen 8.00 und 18.00 Uhr anstatt – wie früher teilweise üblich – abends angesetzt werden. 

Wir können die Hände nun aber nicht in den Schoss legen. Vielmehr sind die Gleichstellung der Geschlechter bzw. ein aktives Gender Management kontinuierliche Aufgaben der Universitäten, ebenso wie der Gesellschaft als Ganzes. Persönlich bin ich keine Anhängerin radikaler Massnahmen. Der jüngst in einem politischen Vorstoss auf kantonaler Ebene geäusserten Forderung, den Frauenanteil bei den Professuren auf 50% zu erhöhen, kann ich aus verschiedenen Gründen wenig abgewinnen. Ausschlaggebend für eine Berufung kann meines Erachtens nur das individuelle Profil bzw. der Leistungsausweis der Bewerberinnen und Bewerber sein. Zudem ist es meines Erachtens nicht vertretbar, den ohnehin steinigen und wenig planbaren akademischen Weg für die männlichen Nachwuchskräfte mit solchen Massnahmen unattraktiv zu machen. Dies ist auch nicht notwendig. Ich bin nämlich überzeugt, dass den talentierten und passionierten Frauen und Männern im universitären Kontext heute dieselben Chancen eingeräumt werden. Würde dieser Grundsatz in einem konkreten Fall missachtet, verfügt die Universität über hinreichende interne Kontroll- und Korrekturmechanismen, um Gegensteuer zu geben.

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