News Regio-Interview

12.04.2022

Regio-Interview - Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik im Gespräch

Sechs Fragen an Thomas Köhler, Programmleiter des Gemeinsamen Sekretariats Interreg VI Oberrhein in Strasbourg

In den letzten zwei Jahren haben Sie gemeinsam mit den Programmpartnern und im Austausch mit der EU-Kommission sowie mit interessierten Akteurinnen und Akteuren an der neuen Förderstrategie 2021-2027 gearbeitet. Was waren die grössten Herausforderungen?

Die grösste Herausforderung war sicherlich, in einer sehr bewegten Zeit eine Programmstrategie zu entwickeln, die über die nächsten neun Jahre trägt und erlaubt, die Projekte auszuwählen und zu finanzieren, die für die Zukunft der grenzüberschreitenden Region am Oberrhein wichtig sind. Dazu war es notwendig, die Akteurinnen und Akteure in den unterschiedlichsten Bereichen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit möglichst breit einzubinden, ohne sich in einem aufgeblähten Prozess zu verzetteln. Wenn man sich das Ergebnis betrachtet, ist uns das, glaube ich, allen gemeinsam ganz gut gelungen.

Nun liegt der finale Programmentwurf vor und wurde im März bei der EU-Kommission eingereicht. Was sind aus Ihrer Sicht die Schwerpunkte der neuen Förderperiode? Wie wurde der Forderung aus Brüssel nach thematischer Konzentration Rechnung getragen?

Wenn die Europäische Kommission auf eine stärkere thematische Konzentration drängt, geht es ihr vor allem darum sicherzustellen, dass mit den beschränkten Fördermitteln eine möglichst grosse Wirkung im Sinne einer noch intensiveren Zusammenarbeit erzielt wird. Dieses Anliegen teilen auch die regionalen Programmpartner. Nichtsdestotrotz ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gerade in einer Region wie am Oberrhein, wo sie eine lange Tradition und ein festes Fundament hat, eine Querschnittsaufgabe. Der Themenkatalog für die künftige Förderung ist dementsprechend auch recht breit geblieben. Die Programmpartner haben dennoch klare Schwerpunkte gesetzt, etwa durch eine besonders starke finanzielle Ausstattung einzelner Förderbereiche wie etwa dem Umgang mit dem Klimawandel und den Folgen der Coronapandemie. Unterstützt wird die Bewältigung solcher Krisen etwa in Branchen, deren wirtschaftliche Situation darunter leidet. Dafür haben wir in diesen Bereichen auch den Fördersatz von 50% auf 60% angehoben. Und schliesslich will man dem Anliegen der Europäischen Kommission und der Programmpartner, mit begrenzten Mitteln möglichst viel zu bewegen, vor allem auch dadurch gerecht, dass man die Projekte auswählt, die die grösste Wirkung erzielen. Ich glaube, hier haben wir schon in der Vergangenheit gezeigt, dass das am Oberrhein gut funktioniert.

Die Pandemie hat einige unserer Gewohnheiten verändert oder zumindest in Frage gestellt. Wie hat sich Corona auf das Programm ausgewirkt. Gibt es auch Lehren, die sich in der neuen Programmstrategie niedergeschlagen haben?

Zunächst einmal waren wir wie alle gezwungen, schnell auf diese völlig neuen Herausforderungen zu reagieren. Wir haben gelernt, dass Zusammenarbeit auch dann funktioniert, wenn man sich nicht direkt begegnen kann. Das gilt zuallererst für unsere Begünstigten, die an ihren Projekten festgehalten und für die Probleme, vor denen sie standen, wirklich sehr kreative Lösungen gefunden haben. Das gilt aber auch für die Programmgremien und das Team der Programmverwaltung, die in kurzer Zeit sämtliche Verfahren weitgehend digitalisieren mussten. Wir haben aber auch gelernt, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit manchmal im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig sein kann. Auch deshalb hat zum Beispiel der Gesundheitsbereich im neuen Programm einen ganz besonderen Stellenwert.  

Interreg steht im Ruf, dass Antragsstellung und administrative Abläufe aufwändig und kompliziert sind. Woran liegt das, und wird es in der nächsten Programmperiode Vereinfachungen geben? 

Was viele vergessen ist, dass die EU-Regionalpolitik eine Querschnittspolitik ist. Die Förderprogramme der Regionalpolitik unterstützen deshalb ganz unterschiedliche Projekte: Brücken, Bahnlinien, Hochtechnologie, den Schutz bedrohter Arten, Bürgerbegegnung – und das in ganz Europa. Das alles wird geregelt durch einen einzigen Rechtsrahmen mit einheitlichen Vorschriften für sehr, sehr unterschiedliche Projekte und Begünstigte – ganz im Unterschied etwa zu EU-Programmen wie Life+, Erasmus+, Horizon Europa oder den meisten nationalen Förderprogrammen. Wir wollen deshalb am Oberrhein die Spielräume zur Vereinfachung nutzen, die der neue Verordnungsrahmen bietet. Hier denke ich zuerst an die noch stärkere Nutzung der sogenannten vereinfachten Kostenoptionen, das heisst von Pauschalbeträgen, Pauschalsätzen und Einheitskosten, die vor allem den Aufwand für den Nachweis der entstandenen Kosten deutlich reduzieren können. Und: Parallel dazu arbeiten wir an einer noch weitergehenden Dematerialisierung und Digitalisierung der Verfahren zur Kostenabrechnung und Projektumsetzung.

Beim Gemeinsamen Sekretariat in Strasbourg, welches Sie leiten, laufen die Fäden zusammen. Wie sind Sie organisiert und was sind konkret die Tätigkeiten Ihres Teams?

Im Vergleich zu anderen Interreg-Programmen haben wir am Oberrhein eine sehr integrierte Organisation der Programmverwaltung. Anders ausgedrückt: Mit dem Team des Gemeinsamen Sekretariats und der Verwaltungsbehörde, beide angesiedelt bei der Région Grand Est, haben die Antragstellenden, Begünstigten und Programmpartner einen Ansprechpartner für alle ihre Anliegen und erhalten sämtliche Informationen und Unterstützungsangebote aus einer Hand. Wichtig ist uns dabei, dass wir niederschwellig erreichbar sind, und das natürlich immer auf Deutsch und auf Französisch. Gerne stehen wir bei Bedarf auch vor Ort zur Verfügung, um über das Programm zu informieren oder Antragstellende und Begünstigte zu beraten. Das gilt sowohl für die Kolleginnen des Gemeinsamen Sekretariats, die sich um die Hilfe bei der Antragstellung und die Prüfung der Förderanträge kümmern, wie auch für die Kolleginnen und Kollegen der Verwaltungsbehörde, die die Umsetzung der Projekte begleiten und dazu insbesondere die Projektausgaben prüfen, um die Fördermittel erstatten zu können. Alles in allem sind wir eine Verwaltung der kurzen Wege, alle Kolleginnen und Kollegen stehen im ständigen Austausch, damit wir die Fragen der Antragstellende und Begünstigten möglichst schnell und kompetent beantworten können

Interreg-Projekte sind zeitlich begrenzt. Wie kann ein dreijähriges Projekt das Leben der Menschen am Oberrhein langfristig verbessern?

Die Tatsache, dass die Förderung zeitlich begrenzt ist, heisst nicht, dass die Projekte dann enden. Im Gegenteil! Die Dauerhaftigkeit der geförderten Massnahmen ist ein wichtiges Anliegen der Programmpartner und der EU, deshalb wird schon bei der Beratung der Anträge bewertet, ob es ein vernünftiges Konzept für die Weiterführung oder dauerhafte Nutzung der geförderten Massnahmen gibt. Das funktioniert auch. Interreg-Programme gibt es am Oberrhein seit mehr als 30 Jahren, und vieles, was dank Interreg angeschoben wurde, ist immer noch da, wie etwa die Infobest Palmrain, der oberrheinische Museums-Pass-Musées, die Dreiländerbrücke von Weil am Rhein nach Huningue oder die Tramlinien von Basel nach Weil am Rhein und nach Saint-Louis. Nicht immer wissen die Nutzerinnen und Nutzer, dass am Anfang dieser Projekte eine EU-Förderung stand. Aber ohne Interreg hätte es viele dieser Projekte nicht gegeben.

Herzlichen Dank für das Interview! 

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Dieses Interview erschien im Rahmen eines Sondernewsletters zu Interreg Oberrhein im April 2022. 

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