Regio-Interview
21 octobre 2024
Regio-Interview – Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik im Gespräch
Sieben Fragen an Dr. Andrea Wagner, Bereichsleiterin (Regionen International) Regionalanalysen bei der BAK Economics AG zur neusten Ausgabe der Broschüre «Arbeitsmarkt am Oberrhein»
Frau Dr. Wagner, welchen Themen widmen Sie sich in der Ausgabe 2024 der Broschüre «Arbeitsmarkt am Oberrhein»?
Die Broschüre «Arbeitsmarkt am Oberrhein» erscheint nun zum fünften Mal. Sie hat das Ziel, die Bedeutung des grenzüberschreitenden Arbeitsmarkts aufzuzeigen und dazu die wichtigsten Facts & Figures zu präsentieren. Ausserdem soll sie die kurzfristigen und konjunkturellen Veränderungen des Arbeitsmarktes in den Teilgebieten monitoren. Dazu zählen unter anderem die Entwicklung der Beschäftigung oder die Arbeitslosigkeit. Ein weiterer untersuchter Aspekt sind die grundlegenden längerfristigen Themen wie Fachkräftemangel, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Wachstumsperspektiven.
Welches sind die wichtigsten Aussagen?
Der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt ist von zentraler Bedeutung, damit die Unternehmen aus einem grösseren Pool an Fach- und Arbeitskräften schöpfen können, als dies ohne die Teile jenseits der Grenzen möglich wäre. Die Schlüsselbranchen der Nordwestschweiz könnten ihre Arbeitsnachfrage ohne die Grenzgängerinnen und Grenzgänger nicht befriedigen. Das Oberrheingebiet ist zudem attraktiv für Zuwanderung, weil es eben auch ein umfangreiches Jobangebot aufgrund des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes gibt. Deshalb ist es zentral, dass es Institutionen wie EURES-T oder die Infobest gibt, die hier wesentliche Arbeit leisten. Auch die Zusammenarbeit bei Aus- und Weiterbildung ist wichtig, um hier vor allem jüngere Menschen für die künftig relevanten Berufe zu begeistern und ihnen die Möglichkeiten der Region aufzuzeigen, damit sie auch hierbleiben wollen.
Eine weitere zentrale Aussage ist, dass die Innovationsfähigkeit der Region noch entscheidender für den künftigen Wohlstand werden wird, da das Wirtschaftswachstum und damit der Wohlstand in der Region nicht mehr in dem Masse durch eine steigende Beschäftigung wie in früheren Jahren, sondern durch Produktivitätssteigerungen getragen werden muss. Auch hier ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, insbesondere in der Forschung und im Technologietransfer, von hoher Bedeutung.
Hat sich der Fachkräftemangel am Oberrhein weiter verstärkt?
Der Fachkräftemangel ist vor allem von strukturellen Faktoren wie dem demografischen Wandel und veränderten Qualitätsanforderungen, beispielsweise durch Digitalisierung und Dekarbonisierung, getrieben und deshalb ein langfristiges Phänomen. Hinzu kommt, dass der Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung und das Ausscheiden der Babyboomer zunehmend zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel führen. Insofern ist davon auszugehen, dass der Fachkräftemangel ein bleibendes Phänomen ist. Aufgrund der vielen globalen Krisen und des derzeit eher schwachen konjunkturellen Umfelds, ist im Moment Personalaufbau weniger im Blick vieler Unternehmen, sodass aktuell nicht von einer akuten Verstärkung des Fachkräftemangels auszugehen ist.
Welche Rolle spielt die aktuelle konjunkturelle Schwäche in Deutschland?
Die aktuelle Schwäche Deutschlands führt dazu, dass in vielen Branchen – insbesondere in der Industrie in Deutschland, aber auch in der Schweiz – kein Personalaufbau stattfindet. Die Arbeitslosenraten haben sich in den deutschen Gebieten wie auch in der Nordwestschweiz leicht erhöht. Dies liegt auch daran, dass die Nordwestschweiz wirtschaftlich stark mit Deutschland verbunden ist. Deutschland ist mit einem Anteil von 12 % an allen Exporten nach den USA (15 %) der wichtigste Absatzmarkt, noch vor China (11 %).
Können Sie Aussagen machen zur Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Beschäftigung (in einzelnen Branchen)?
Die Digitalisierung führt natürlich zu neuen Geschäftsmodellen und/oder Effizienzgewinnen. Dadurch können neue Jobs entstehen, aber auch bestimmte Tätigkeiten überflüssig werden. Bisher haben solche Umbrüche insgesamt nicht zu weniger Beschäftigung geführt. Wichtig ist, dass es für die Berufe, die nicht mehr so häufig benötigt werden wie zum Beispiel Bürokräfte, die Möglichkeit gibt, sich umschulen oder weiterbilden zu können. Insgesamt sind Ausbildung und Weiterbildung, um die durch die Digitalisierung oder auch KI geforderten Qualifikationen zu erwerben, wichtig, damit die von Rationalisierung betroffenen Beschäftigten neue Jobs finden, aber auch um die Chancen, die sich durch die Digitalisierung bieten, ergreifen zu können. Grundsätzlich kann aber auch Digitalisierung und KI helfen, dass die Effizienz gesteigert wird und wir unseren Wohlstand mit weniger Arbeitseinsatz erhalten können. Dies ist vor allem angesichts des demografischen Wandels mit abnehmenden Arbeitskräftepotenzial wichtig.
Wie gehen Sie bei der Erhebung der Daten vor und welche Problemstellungen ergeben sich aufgrund der Grenzlage?
Aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsmethoden der jeweiligen Länder im Grenzgebiet sind international vergleichbare Daten immer eine Herausforderung. Aufgrund des Abgleichs der verschiedenen statistischen Quellen wird jedoch eine hohe Zuverlässigkeit erreicht. BAK Economics erstellt seit vielen Jahren eine internationale Wirtschaftsdatenbank auf der Ebene von Regionen. Dabei nutzen wir, wann immer möglich, einheitliche Quellen wie OECD oder Eurostat und ergänzen diese durch nationale oder regionale Quellen. Mit anerkannten Schätzmethoden und unseren Modellen stellen wir eine hohe Konsistenz der Daten sicher – auch auf einer tiefen Regionen- und Branchenebene.
Wo sehen Sie den Mehrwert einer solchen Publikation?
Der Mehrwert einer solchen Publikation liegt vor allem darin, dass sie die Wichtigkeit des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes für die Wirtschaft und die Politik, aber auch für die Menschen, die hier leben, verdeutlicht. Da der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt gut funktioniert, wird er als selbstverständlich angesehen. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen ist dies aber kein Selbstläufer, sondern viele Herausforderungen sind grenzüberschreitend ähnlich und dazu benötigt es Informationen über die Entwicklungen in allen Teilräumen des Oberrheingebiets.
Herzlichen Dank für das Interview, Frau Dr. Wagner! Die aktuelle Ausgabe der Broschüre «Arbeitsmarkt am Oberrhein» kann hier heruntergeladen werden.