Suisse-UE

27 juin 2022

Avenir Suisse: Erosionsmonitor #3

Mit dem Erosionsmonitor beurteilt der Think-Tank Avenir Suisse die Entwicklung der bilateralen Beziehungen Schweiz-EU nach dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen und definiert Eckpunkte für eine zukünftige Europapolitik. Im Rahmen des dritten Reports kommen die Autorinnen und Autoren zum Schluss, dass die Nordwestschweizer Kantone überdurchschnittlich stark betroffen sind.

Über ein Jahr ist vergangen seit dem Abbruch der Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen Schweiz-EU durch den Bundesrat. Seither verfolgt Avenir Suisse die Beziehungen der Schweiz zur EU und dokumentiert deren Entwicklung in regelmässigen Abständen. Klar ist: Der bilaterale Weg erodiert, für die Schweizer Wirtschaft relevante Erleichterungen des Zugangs zum EU-Binnenmarkt sind in den letzten zwölf Monaten weggefallen, neue Hürden drohen. Zusätzlich stockt auch die Zusammenarbeit auf technischer Ebene, so wird die Schweiz beispielsweise aus relevanten europäischen Gremien für die Stromversorgung hinausgedrängt.

In der dritten Ausgabe zum Erosionsmonitor berichten die Autorinnen und Autoren, dass seit der letzten Ausgabe des Erosionsmonitors für Schweizer Unternehmen die Hürden der Teilnahme am EU-Binnenmarkt weiter gestiegen sind. Zu erwähnen sind insbesondere die Verschlechterungen für Hersteller von Diagnostika aufgrund der fehlenden Aktualisierung des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse.

Von der Erosion überdurchschnittlich stark betroffen sind die Nordwestschweizer Kantone. Die für die gesamte Schweiz wirtschaftlich ausserordentlich bedeutende Region ist überdurchschnittlich stark mit dem EU-Binnenmarkt verflochten und damit von einer bilateralen Erosion entsprechend betroffen.

Die Folgen des faktischen Horizon-Ausschlusses für die Nordwestschweiz

Die Forschungsinstitutionen der Nordwestschweiz spüren stark die negativen Auswirkungen infolge des Ausschlusses aus dem Forschungsprogramm Horizon Europe. Dabei geht es nicht nur ums Geld, das für die Forschung nicht mehr zur Verfügung steht, sondern es geht auch um den Attraktivitätsverlust durch die fehlenden ERC Grants, die für Forscherkarrieren eine äusserst wichtige Auszeichnung sind. Dies kann wiederum dazu führen, dass eine Forscherin oder ein Forscher, welche an der Universität Basel durch Horizon Europe einen ERC-Grant erhalten hat oder den Erhalt eines solchen anvisiert, die Institution verlässt, um an einer ausländischen Universität bessere Karrierebedingungen und Anbindungen an den europäischen Forschungsplatz vorzufinden. Durch den Ausschluss der Schweiz aus Horizon Europe können zudem Schweizer Projekte und Beteiligungen an Verbundprojekten (in Kooperation mit internationalen Partnern) nicht mehr durch die EU-Forschungsfinanzierung unterstützt werden und auch eine Schweizer Koordination von Verbundprojekten ist nicht mehr möglich. Die Vernetzung des Schweizer Wissenschaftsstandortes mit Europa ist für die Institutionen, aber auch für Startups, KMU und Unternehmen sehr wertvoll.  

Die Folgen der MRA-Erosion für die Nordwestschweiz

Aufgrund der Branchenstruktur in der Nordwestschweiz ist die fortschreitende Erosion des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA) überdurchschnittlich stark spürbar. Noch gelten die Regelungen im MRA, doch sollte das EU-Recht revidiert werden, ist ebenfalls mit einer Erosion zu rechnen – ausser die Schweiz einigt sich vorgängig mit der EU. Eine potenzielle Erosionsgefahr besteht beispielsweise hinsichtlich der Bestimmungen der sogenannten «guten Herstellungspraxis». Eine fehlende Äquivalenz in der für die Pharmabranche relevanten Bereichen wäre für die Schweiz einschneidend. Dies hätte Auswirkungen auf Basel und die Region, da die Wertschöpfung der Region aber auch der Arbeitsmarkt eng mit der Schweizer Pharmabranche zusammenhängt. 

Notwendige Aufrechterhaltung der Personenfreizügigkeit

Die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit (PFZ) auf die Nordwestschweiz sind gross. Im Falle einer erschwerten Verfügbarkeit von hochqualifizierten Grenzgängerinnen und Grenzgängern und niedergelassenen EU/EWR-Fachkräften wäre dies nicht nur für Unternehmen aus der Nordwestschweiz nachteilig, sondern auch für die Forschung. Ein aktuelles Argumentarium der BAK Basel (2021), welches die Konsequenzen eines Wegfalls der PFZ für die Region Oberrhein untersucht, bestätigt Erkenntnisse aus dem Erosionsmonitor. Einschränkungen für Grenzgängerinnen und Grenzgänger beim Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt und zu Forschungseinrichtungen oder Behinderungen der grenzüberschreitenden Dienstleistungen, würden negative volkswirtschaftliche Konsequenzen haben, beispielsweise eine Verstärkung des Fachkräftemangels, eine Reduktion des Pro-Kopf-Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Unternehmen, Preissteigerungen und negative Innovationseffekte. Auf der positiven Seite stünden eine Entspannung am regionalen Immobilienmarkt und höhere Margen für Nordwestschweizer Unternehmen. 

Föderalistische Mitwirkung der Kantone stärken

In dem Report schlagen die Autorinnen und Autoren zudem vor, die föderalistische Mitwirkung der Kantone in der Aussenwirtschaftspolitik generell zu stärken. Zum bestehenden Spielraum der Kantone in der Aussenpolitik, den allfällig ungenutzten Spielräumen und dem Revisionspotenzial zur Stärkung der kantonalen aussenpolitischen Kompetenzen wurde ein Kurzgutachten in Auftrag gegeben. Basierend auf dem Gutachten schlägt Avenir Suisse vor, die Rolle der Kantone in der Aussenwirtschaft und insbesondere in der Europapolitik zu stärken. Daher sei eine organisatorische Weiterentwicklung mit der Schaffung eines Integrations- bzw. Europaausschusses Bund-Kantone vonnöten, mitsamt einer Anpassung der einschlägigen Gesetzgebung.

Erosionsmonitor #3: Report zum Stand des bilateralen Verhältnisses Schweiz-EU – Schwerpunkt Nordwestschweiz

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